Inflation des Glücksgefühls

11-09-2021

Unter Inflation versteht man den Wertverlust des Geldes im Laufe der Zeit. Dadurch verringert sich die Kaufkraft: Für die gleiche Geldsumme kann man damit weniger und weniger kaufen. Das Risiko steigt in der Pandemie, wenn viele Regierungen mehr und mehr Geld im Rahmen des Konjunkturprogramms in den Markt pumpen, um die Wirtschaft zu retten. Im Normalfall ist eine mäßige Inflation unvermeidbar und unter bestimmten Bedingungen sogar erwünscht für eine gesunde Wirtschaft. Aber eine übermäßige Inflationsrate ist die große Sorge für viele Leute. Dagegen kann sich eine Einzelperson wenig wehren. Nur die Wirtschaftspolitik kann mit effektiven Gegenmaßnahmen eingreifen.

Neben der traditionellen Geldinflation können wir auch einen Einblick auf die sogenannte „Inflation des Glücksgefühls” werfen. Diesen Begriff kann man so verstehen: Unsere subjektive Wertschätzung eines Gegenstandes, den wir schon besitzen oder haben, sei er greifbar oder ungreifbar, verringert sich im Laufe der Zeit. Ich habe beispielsweise ein Buch online gekauft. In dem Moment der Lieferung drei Tage später war ich mit dem lang erwarteten, neu gelieferten Buch in den Händen am glücklichsten. Nach einer Woche oder so steht das Buch noch im Regal und vielleicht nur drei oder vier Seiten wurden durchgeblättert. Ich habe noch ein bisschen Lust darauf, aber nicht genug, damit ich weiter Zeit damit verbringen würde. Das mit dem Buch verbundene Glücksgefühl verschwindet Stück für Stück, wie es schon heißt, „Vorfreude ist die schönste Freude”.

Dieses Verhaltensmuster wiederholt sich sicherlich nicht nur beim Onlinekauf, sondern auch bei anderen Dingen im Leben, die oft als selbstverständlich angesehen werden. Nehmen wir das Beispiel der Karriere. Man freut sich nach dem strengen stundenlangen Vorstellungsgespräch auf ein Stellenangebot, und ist wie im siebten Himmel beim Erhalt des Angebots. Aber nach einer gewissen Zeit langweilt man sich mit dem immer gleichen Tagesablauf. Diese Tendenz kommt auch in Beziehungen vor: Geliebte verlieren ihre anfängliche Aufregung allmählich und beginnen, sich über Kleinigkeiten zu streiten. Die Beziehung zu einem Objekt verliert auch Bedeutung: Wohnungseigentümer wünschen sich Häuser, obwohl diese allererste Wohnung früher ihre größte Investition als auch Erfüllung war. Mittlerweile träumen Hausbesitzer von Villen, und ebenso sehnen manche Villen-Besitzer sich nach Schlössern.

Meiner Meinung nach ist das Gegenmittel gegen die zweite Art von Inflation die regelmäßige Praxis der Dankbarkeit. Die Gegenstände unseres Glücksgefühles haben im Wesentlichen keinen tatsächlichen Wert verloren. Der geliebte Mensch bleibt fast wie früher, körperlich sowie psychisch. Die Wohnung oder das Haus verändert sich wenig, außer die Dekorationsartikel. In bestimmten Fallen werten sie sich auf: Die Beziehung zu dem Geliebten kann sich mit gegenseitigem Verständnis vertiefen und verstärken. Die kleine Etagenwohnung gewinnt nicht nur als ein Anlageobjekt Bedeutung, sondern auch als ein Zeuge vieler glücklicher Ereignisse in der Familie: die Geburt eines Kindes, sein Heranwachsen, das Abendessen voller Gelächter usw. Auf der Arbeit kann das Einkommen als Festangestellte mittelmäßig sein, aber es ist sicher. Man kann zwar als Selbständiger mehr Einnahmen erzielen, aber man muss sowohl mehr Risiken eingehen als auch größere Verantwortung tragen. Der Wert eines Gegenstandes ist jedoch auch eine Auslegungssache.

Zum Schluss möchte ich diesen Aufsatz mit einem Zitat von Theodore Fontane abschließen: „Wenn man glücklich ist, soll man nicht noch glücklicher sein wollen.“

English

Inflation is the loss in value of money over time. This reduces purchasing power: you can buy less and less for the same amount of money. This risk increases in the pandemic as many governments pump more and more money into the market as part of the stimulus package to save the economy. Moderate inflation is usually unavoidable and, under certain conditions, even desirable for a healthy economy. But excessive inflation is a major concern for many people. There is little that an individual can defend himself against. Only an economic policy with effective countermeasures can intervene there.

In addition to traditional monetary inflation, we can also take a look at what is known as “happiness inflation”. This term can be understood as follows: Our subjective appreciation of an object that we already own or have, be it tangible or intangible, diminishes over time. For example, I bought a book online. At the moment of delivery three days later, I was happiest with the long-awaited, newly delivered book in my hands. After a week or so the book is still on the shelf and maybe only three or four pages have been turned. I still feel like doing it a little, but not enough to keep spending time with it. The feeling of happiness associated with the book disappears bit by bit, as it has already been said, “anticipation is the most beautiful joy”.

This pattern of behavior is certainly not only seen in online shopping, but also with other things in life that are often taken for granted. Take the example of the career. After the strict, hour-long interview, you look forward to a job offer, and you are in seventh heaven when you receive the offer. But after a certain time you get bored with the same daily routine. This tendency also occurs in relationships: couple gradually lose their initial excitement and begin to quarrel over trifles. The relationship with a property also loses meaning: apartment owners wish for houses, even though that very first apartment used to be their greatest investment and fulfillment. House owners now dream of villas, and some villa owners also long for castles.

In my opinion, the antidote to the second type of inflation is the regular practice of gratitude. The objects of our happiness have essentially not lost any real value. The beloved person remains almost like before, physically and mentally. The apartment or house changes little, except for the decorative items. In certain cases they even increase in value: the relationship with the beloved can deepen and strengthen with mutual understanding. The small apartment gains importance not only as an investment, but also as a witness to many happy family events: the birth of a child, his growing up, the dinner full of laughter, etc. At work, the income as a permanent employee can be mediocre, but it is safe. You can earn more income as a self-employed person, but you have to take more risks and take on more responsibility. However, the value of an item is also a matter of interpretation.

In conclusion, I would like to close this essay with a quote from Theodore Fontane: “If one is happy, one should not want to be even happier.”

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